Film: "Der stille Berg"
Am Abend des zweiten Akademie-Tages sahen wir den Film "Der stille Berg", der den Ersten Weltkrieg in den Südtiroler Bergen an der Dolomitenfront zeigt. Der Film (Regisseur: Ernst Gossner) beleuchtet die Kriegsereignisse sicherlich aus Südtiroler Sicht, behält jedoch immer zu dieser eigenen Perspektive eine kritische Distanz. Deshalb hat er auch in Südtirol nach seinem Erscheinen im Jahr 2014 wie eine "Bombe" eingeschlagen. Er dekonstruiert den jahrzehntelangen Mythos von "unseren Helden, die in Fels und Eis den Feind aufgehalten haben", er macht die unermeßlichen Qualen und Strapazen deutlich, denen die Soldaten ausgesetzt waren. Der Film zeigt, wie Krieg entmenschlicht, und er zeigt auch die Kriegsgewinnler, die an der Fortführung des Krieges ihr eigenes Interesse haben.
Im folgenden eine Rezension zu diesem Film aus den "Salzburger Nachrichten" vom 13.März.2014
"Der stille Berg": Keine Helden an der Dolomitenfront
Es beginnt als idyllische Liebesgeschichte. Aber "Der stille Berg" erzählt von einem der blutigsten Kapitel in der Geschichte Tirols - mit Starbesetzung und sensationellen
Bergaufnahmen.
Schwellende Orchestermusik, ein junges Paar, tiefe Blicke und leidenschaftliche Umarmungen: "Der stille Berg" erzählt von einer Liebe, zerrissen von der Dolomitenfront.
Wer nach dem schwülstigen Kinotrailer allerdings Kriegskitsch befürchtet, sei entwarnt: Ernst Gossners zweiter Spielfilm (nach "South of Pico") ist eine ernsthafte, dramatische
Auseinandersetzung damit, welche apokalyptischen Auswirkungen Krieg auf die Menschen hat.
Dabei beginnt alles so harmlos, in diesem Frühsommer 1915: Der junge Hotelierssohn Anderl Gruber (der britische "Narnia"-Star William Moseley) ist durchaus anfällig für die Kriegsbegeisterung
der Zeit. Als seine ältere Schwester (Emily Cox) einen italienischen Ingenieur heiratet, ist er kritisch: Zwar findet Anderls Vater den Ingenieur in der Familie recht praktisch, aber die Welschen
haben nicht unbedingt einen guten Ruf im Tal. Doch just am Hochzeitstag geschehen zwei wesentliche Wendungen: Anderl verliebt sich, ausgerechnet in Francesca, die aufmüpfige Schwester des
italienischen Bräutigams. Und die Nachricht "Italien hat Österreich den Krieg erklärt!" trennt die Festgesellschaft in Windeseile nach Nationen.
Die neue italienische Verwandtschaft drängt zum Aufbruch, Francesca soll zurück in den Konvent, doch sie wehrt sich gegen ihre strenge Tante (dargestellt von Claudia Cardinale höchstpersönlich). Anderl hilft Francesca und versteckt sie im Keller des Hotels, und die beiden verbringen eine innige Nacht miteinander.
Am nächsten Morgen aber muss Anderl einrücken, an der Seite seines Vaters. Die ersten Kriegstage im sommerlichen Gebirge sind für den jungen Burschen ein Abenteuer: Überall können die hoch gerüsteten Italiener lauern, doch die Tiroler kennen ihre Berge in- und auswendig und können ihre Feinde austricksen. Bis die ersten Schüsse der Gegenseite treffen. Doch was heißt Gegenseite: Bei den Italienern muss auch Anderls Schwager kämpfen, und seinen Hass gegen die Österreicher beweisen. Als Ingenieur soll er helfen, den Weg nach Tirol frei zu sprengen, koste es, was es wolle. Ihr wahres Ausmaß erreicht die Tragödie allerdings erst, als der Winter einbricht: Die Armseligkeit eines Sterbens an Kälte und Hunger, die Panik auf einem unübersichtlichen Schlachtfeld, all das zeigt "Der stille Berg", und es wirkt um so heftiger im Kontrast mit den opulenten Aufnahmen des Bergs (Kamera: Daniela Knapp), der den Krieg auf seinen Rücken mit Gleichmut aushält.
Schon 2011 hatte Ernst Gossner sich in seinem Dokumentarfilm "Global Warning" mit dem Krieg in den Dolomiten auseinandergesetzt, und war bei seinen Recherchen auf komplett erhaltene Schützengräben im Gebirge gestoßen. Hier, zum Teil in den originalen Gräben, inszenierte er nun den "Stillen Berg", auch unter dem Eindruck des Funds der Leichen dreier austroungarischer Soldaten, die erst 2004 auf dem Adanello-Gletscher entdeckt wurden, und in dem Bewusstsein, dass sein eigener Großonkel in einem dieser Gräben verhungert war: Es ist ein Trauma, das nie richtig aufgearbeitet wurde, überdeckt vom Schatten des Zweiten Weltkriegs, doch die Narben sind bis heute deutlich sichtbar.
Die süßliche Heimatfilmromantik, mit der der Film beginnt, ist wie der Zucker, auf dem die Medizin des Antikriegsplädoyers gereicht wird: Seine wahre Kraft entwickelt "Der stille Berg" in den ruhigen Szenen im Gebirge, wenn einem jungen italienischen Soldaten die Hassparolen gegen die Österreicher im Hals stecken bleiben, wenn erfahrene Soldaten den Wahnwitz dieses Kriegs erfassen. Wenn ganz klar wird: Das ist nicht der Krieg dieser Menschen, doch sie müssen ihn ausfechten. Und das darf nie wieder passieren.
Film "Frantz"
Am Nachmittag des dritten Akademie-Tages sahen wir den französischen Film "Frantz" (2016), der sehr feinsinnig an Hand der beiden Protagonisten - eine junge deutsche Frau und Witwe, ein junger Franzose, der eben den Mann dieser Frau im Schützengraben erschossen hat - den Versuch schildert, schon kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Vergebung und Versöhnung herzustellen, und wie die beiden daran scheitern, angesichts der herrschenden familiären und gesellschaftlichen Umstände scheitern müssen.
Im folgenden eine Rezension zu diesem Film aus der "Farnkfurter Allgemeinen Zeitung", von Andreas Kilb, erschienen am 29.9.2016:
François Ozons Film „Frantz“ :
Diese Liebe beginnt mit einer Schusswunde.
Großes französisches Kino aus Deutschland: „Frantz“ ist im ersten Weltkrieg gefallen, doch François Ozon und ein plötzlich auftauchender Fremder machen ihn für seine Verlobte wieder
lebendig
(...)
François Ozons neuer Film „Frantz“ beginnt mit dem Schwarzweißbild einer Stadtsilhouette. Darunter steht „Quedlinburg, 1919“. Man sieht Marktstände, eine Kapelle spielt „Die Wacht am Rhein“,
eine junge Frau, von zwei Kriegsversehrten gierig beäugt, läuft zum Kirchhof. Auf dem Grab, das sie pflegt, liegt ein Strauß weißer Margeriten. Er ist nicht von ihr. „Muss der Fremde gewesen
sein“, sagt der Friedhofsdiener. Auf die Frage der Frau, ob er etwas über den Mann wisse, holt er eine Zwei-Francs-Münze aus der Tasche und spuckt verächtlich aus.
Quedlinburg, 1919. Anna (Paula Beer) lebt bei ihren Pflegeeltern, deren Sohn Frantz, Annas Verlobter, im letzten Kriegsjahr gefallen ist. Die Aura der Trauer, die sie umgibt, ist mit Händen
zu greifen, und sie wird noch dichter, als ein Verehrer, ebenfalls Kriegsveteran, ihr einen Heiratsantrag macht: „Mit mir werden Sie Frantz vergessen.“ – „Ich will ihn aber nicht vergessen.“ Doch
dann kündigt der Fremde vom Friedhof seinen Besuch im Haus der Hoffmeisters an. Er ist Franzose, er heißt Adrien, und er hat Frantz gekannt. „War es in Paris, vor dem Krieg?“, fragt seine Mutter,
die neben Anna am Sofatisch sitzt. Dann bittet sie: „Erzählen Sie uns von ihm.“ Und Adrien fängt an zu erzählen, das Schwarzweißbild wird farbig, und eine Geschichte beginnt, an der alles stimmt,
außer dass sie nicht wahr ist.
François Ozon ist ein Meister solcher Halbwahrheiten. (...)
In „Frantz“ beispielsweise sehen wir zwei junge Männer durch den Louvre laufen und in einer Tanzkneipe Bier trinken, und wir glauben, dass dies Frantz und Adrien sind, die sich vor dem Krieg
in Paris vergnügen. Und Anna und ihre Pflegeeltern glauben es auch, sie sehen Dinge vor sich, die Adrien ihnen gar nicht erzählt hat, und dann laufen Adrien und Anna über die Felsklippen am
Harzrand zu einem See, und sie sieht die zarten Narben auf seinem schlanken Körper und hofft, dass er in ihrem Leben den Platz des Toten einnehmen wird.